Startseite › Regierung und ELN verhandeln offiziell über Frieden: Bedrohte Aktivist*innen der Zivilgesellschaft müssen unverzüglich wirksam geschützt werden
07.02.2017 | Pressemitteilung
Rund 80 Menschenrechtsverteidiger*innen, Gemeindesprecher*innen und Vertreter*innen sozialer Organisationen fielen im Jahr 2016 Mordanschlägen in Kolumbien zum Opfer. Dazu kommen mindestens zehn weitere tödliche Angriffe in den ersten vier Wochen dieses Jahres. Zu den Friedensgesprächen, die Kolumbiens Regierung und die Guerilla-Gruppe ELN heute offiziell aufgenommen haben, ruft Amnesty International die Behörden des Landes auf, unverzüglich wirksame Schutzmaßnahmen für alle Aktivist*innen einzurichten, die sich in Gefahr befinden. Die landesweit wachsende Gewalt gegen die Zivilgesellschaft kann Kolumbiens Friedensprozess ernsthaft gefährden.
Morde an Menschenrechtsaktivist*innen haben in Kolumbien in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Dies zeigt deutlich auf, welchen Gefahren sich Menschen nach wie vor aussetzen, wenn sie Menschenrechtsverstöße im Land anprangern, sagt Amnesty International anlässlich der Friedensgespräche, die die Regierung Kolumbiens und die Guerilla-Gruppe ELN (Ejército de Liberación Nacional, „Nationales Befreiungsheer“) nach vielen Verzögerungen heute offiziell in Ecuador aufgenommen haben.
Die Menschenrechtsorganisation ruft die Regierung in Kolumbien auf, für Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich in Gefahr befinden, sofort wirksame Schutzmaßnahmen einzurichten. Allein im Januar 2017 wurden mindestens zehn Aktivist*innen ermordet – fast doppelt so viele wie im Monatsdurchschnitt des vergangenen Jahres.
„Mit dem heutigen Friedensprozess scheint am Ende eines langen und dunklen Tunnels ein helles Licht, das verschiedentlich bereits zu greifbaren Verbesserungen im Leben viele Kolumbianer und Kolumbianerinnen geführt hat. Solange aber die Morde an zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten kein Ende nehmen, wird jedes erdenkliche Friedensabkommen immer mit einem unauslöschlichen Schandfleck behaftet sein“, warnt Erika Guevara Rosas, Amerikas-Direktorin bei Amnesty International.
„Ganz gezielt werden diese mutigen Aktivisten und Aktivistinnen von mächtigen lokalen und regionalen Interessengruppen in Wirtschaft und Politik, aber auch von diversen bewaffneten Gruppen und Paramilitärs versucht zum Schweigen zu bringen, einfach weil sie ihre Rechte verteidigen oder schmerzhafte Wahrheiten in Kolumbiens Alltag öffentlich anprangern.“
Der spürbare Rückgang an direkt aus Kämpfen resultierender Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, der seit Beginn der Friedensgespräche von Kolumbiens Regierung mit den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, FARC) zu beobachten ist, hat bereits einen kurzen Blick darauf gestattet, wie Kolumbien nach einem Ende des Konflikts aussehen könnte. Die steigende Zahl von Morden an Gemeindesprecher*innen, Landrechts- und Umweltaktivist*innen, von denen allein etwa 80 im vergangenen Jahr getötet worden sind, kann diese Fortschritte jedoch ebenso zunichte machen wie auch die zunehmenden Aktivitäten paramilitärischer Gruppen, die in verschiedenen Berichten beispielsweise aus der Region Urabá im Nordwesten des Landes belegt sind.
In diesem Jahr ermordet wurden unter anderem Emilsen Manyoma, Sprecherin einer afrokolumbianischen Gemeinde, und ihr Partner Joe Javier Rodallega. Sie wurden zum letzten Mal am 14. Januar 2017 lebend gesehen. Am 17. Januar wurden ihre Körper dann tot in Buenaventura im Department Valle del Cauca aufgefunden.
FRIEDEN BRAUCHT GERECHTIGKEIT
Die Übereinkunft über ein neues Sonderjustizsystem, die FARC und Regierung als Teil ihres Friedenvertrages im letzten Jahr geschlossen hatten und die derzeit im Kongress Kolumbiens debattiert wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung um den Rechten der Opfer des Konfliktes auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in der Praxis Geltung zu verschaffen. Ihre Bestimmungen werden in jedem Fall Anwendung auch auf Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte finden und wahrscheinlich ebenfalls auf die Mitglieder des ELN.
Nichtsdestotrotz reicht der Friedensvertrag mit diesem Teilabkommen an verschiedene Vorgaben im internationalen Recht nicht heran, um Kolumbiens völkerrechtliche Verpflichtungen vollständig zu erfüllen, etwa weil die darin festgelegte Definition von Vorgesetztenverantwortlichkeit zu eng gefasst ist. Dadurch würde stark erschwert, Befehlshaber*innen sowohl in den Reihen der FARC als auch der staatlichen Sicherheitskräfte für Vergehen ihnen unterstellter Kombattant*innen vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen.
„Frieden wird in Kolumbien erst dann tatsächlich Wirklichkeit werden, wenn alle, die im Verdacht stehen, für einige der grauenvollsten Verbrechen, die man sich überhaupt vorstellen kann, strafrechtlich verantwortlich zu sein, dafür auch in angemessener Weise und in fairen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden“, so Erika Guevara Rosas.
„Die Behörden müssen wirksame Schritte einleiten um den Morden an Menschenrechtsverteidiger*innen unverzüglich ein Ende zu setzen. Sie müssen ebenfalls Schutzgarantien auf den Weg bringen, um die Sicherheit indigener, afrokolumbianischer und kleinbäuerlicher Gemeinden zu gewährleisten, die sich in vielen ländlichen Regionen Kolumbiens weiterhin Angriffen bewaffneter Gruppen – hauptsächlich paramilitärischer Einheiten – ausgesetzt sehen“, fordert Guevara Rosas weiter.
HINTERGRUND
Nachdem der ELN am 2. Februar 2017 mit Odín Sánchez eine seiner bekannteren Geiseln freigelassen hatte, die die Guerilla-Gruppe nach wie vor in Gefangenschaft hält, hat Kolumbiens Regierung offizielle Friedensverhandlungen nun auch mit dieser Konfliktpartei aufgenommen. Vor wenigen Wochen begann zudem die Umsetzung des bereits im November letzten Jahres unterzeichneten Friedensvertrages mit der Guerilla-Gruppe FARC.
Die Pressemitteilung im Original findet sich hier in englischer und hier in spanischer Sprache.
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